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Rücksicht zu nehmen ist keine Schwäche.

Letzte Woche hatte meine Haflingerstute, sagen wir es so, ihre Mitte verloren.

 

Wie so oft war es eine Serie von Ereignissen, die dazu führte. Eine alte Stute, die im Offenstall nebenan wohnte, musste eingeschläfert werden.

 

Es gab mehrere stürmische Tage hintereinander. Mira hat nur ein Auge und tut sich generell schwer, Objekte in der Ferne schnell zu erkennen und Wind macht das noch schwieriger.

 

Ihre eigene kleine Herde wurde nachts getrennt, weil die trächtige Stute in einer Box übernachtete. Der Chef-Wallach leistete ihr im Stall Gesellschaft, während die anderen zwei im Offenstall blieben. Das Fohlen kam dann auch noch und sorgte unter den Pferden für (freudige) Aufregung.

 

Und dann war Ostern. Das Osterfeuer des Nachbarn war nur ein paar hundert Meter entfernt und überall wurden Osterböller gezündet. (Kärnten halt.) Obwohl meine Stute vorsorglich Bachblüten bekommen hat, hat das alles Spuren hinterlassen.

Mira merkt man äußerlich nicht viel an, wenn sie durcheinander ist, aber beim Reiten spürt man ihre angespannte Muskulatur. Und ihre allgemeine Unsicherheit manifestiert sich oft, indem sie Angst vor einer Ecke der Reitbahn bekommt.

 

Ich habe die beste Reitbeteiligung, die man sich vorstellen kann, und sie betreute Mira über das Osterwochenende. Sie erzählte mir, dass Mira weder beim Longieren noch beim Reiten an dieser „Scary Corner“, der angsteinflößenden Ecke, vorbeigehen wollte. Wohlgemerkt – es war eine ganz andere Ecke als sonst. Ich antwortete meiner Reitbeteiligung, dass sie kein Thema daraus machen solle, sondern Rücksicht auf die Ereignisse der vergangenen Tage nehmen und einfach die andere Hälfte der Bahn benutzen. Ich würde mir dann in den nächsten Tagen alles genauer anschauen.

 

Wie oft hört man in ähnlichen Situationen aber solche Phrasen:

„Reit darüber hinweg, sonst hat das Pferd gewonnen und lernt, dass es immer gucken darf!“

 

„Das Pferd veräppelt dich! Es hat sonst nie Angst in der Ecke.“

 

Aber die Ecke ist nicht das Problem; das Problem ist, dass das Pferd emotional instabil ist.  (Siehe dazu auch mein Blog-Beitrag „Ein Becher voller Mut“.) Wenn man keine Rücksicht darauf nimmt und auch noch einen Krieg anfängt, wird die Ecke erst recht mit Stress verbunden. Man muss also zuerst dafür sorgen, dass das Pferd wieder in seine Mitte kommt.

 

 

So machte ich das mit Mira. Vor der nächsten Reiteinheit nahm ich mir ausführlich Zeit, um ihre Erdung zu verbessern. Ich strich sie lange mit der Tellington-Gerte ab, machte langsame Python-Heber TTouches an den Beinen und legte Kopf- und Körperbänder an. Ich ritt sie mit durchhängenden Zügeln in Richtung der „Scary Corner“ und dann wieder weg. Und nach fünf Minuten hatte sie vergessen, dass an der Ecke einmal irgendetwas spannend war.