“We are all equal but not the same”
Oder, auf Deutsch: „Wir sind alle gleich, aber nicht identisch.“
Nein, ich schließe mich jetzt weder der Black Rights Bewegung an, noch werde ich zu einer extremen Frauenrechtlerin. In diesem Blog ist von verschiedenen Körpertypen die Rede. Tatsache ist, wir Reiter kommen in allen Formen und Größen vor und das ist gut so.
Dass Pferde seit Hunderten von Jahren für bestimmte Aufgaben selektiv gezüchtet wurden, weiß jeder. Es wurde Wert auf bestimmte körperliche Merkmale gelegt. Das äußere Erscheinungsbild und der Körperbau eines Pferdes werden als „Exterieur“ bezeichnet. Zusammen mit dem „Interieur“, den Charaktereigenschaften, bestimmt es über den Verwendungszweck einer bestimmten Pferderasse. Das Vollblut wurde beispielsweise gezüchtet, um schnell und ausdauernd zu galoppieren, die Iberische Rasse, um flink und wendig in einer Manege zu agieren, der Friese, um Kutschen zu ziehen, das Highland Pony, um erlegte Hirsche durch eine unwegsame Heidelandschaft zu schleppen, usw. Es gibt natürlich Pferde, die in anderen Sparten erfolgreich sind, als denjenigen, für die sie ursprünglich gezüchtet wurden, aber das ist eher die Ausnahme.
Nichtsdestotrotz, ein Pferd bleibt ein Pferd, und wenn es einen Reiter tragen soll und dabei über Jahre hinweg gesund bleiben, muss es rassenunabhängig eine gewisse Körperhaltung einnehmen, also zum Beispiel den Rücken aufwölben und mit der Hinterhand Last aufnehmen. Wenn verschiedene Pferderassen diese gleichen biomechanischen Vorgänge zum Beispiel im Trab ausführen, gibt es dabei auf Grund ihrer unterschiedlichen Proportionen dennoch optische Unterschiede. Sehen wir uns beispielsweise die vorher genannten Friesen und Iberer und einen Isländer oder ein Shetland Pony näher an. Würden wir ein Foto von jedem dieser Tiere im Trab machen und die Silhouette dann schwarz anmalen, könnten wir die verschiedenen Rassen bestimmt dennoch an Hand ihres Umrisses erkennen.
Warum halten wir diese Diversität unter den Pferderassen für selbstverständlich und beachten Unterschiede im Körperbau bei Menschen kaum? Zugegeben, die Größenunterschiede zwischen Menschen sind nicht so gravierend, wie zwischen einem Shetland Pony und einem Friesen, und Gott sei Dank werden Menschen nicht extra gezüchtet, um bessere sportliche Leistungen zu erbringen. Dennoch besteht die Reiterwelt aus einer kunterbunten Mischung von Menschen mit unterschiedlichen Größen und Proportionen. Wiederholen wir doch das Gedankenspiel von vorhin und denken wir an drei befreundete Reiterkollegen. Stellen wir uns auch bei ihnen nur die Silhouette vor, erkennen wir sie trotzdem alle wieder, oder?
Wie für Pferde, gibt es auch für Reiter effiziente Bewegungsabläufe, die es dem Menschen ermöglichen, sich gesund und mit geringer Anstrengung mit dem Pferd zu bewegen. Gleichzeitig wird eine faire und verständige Hilfengebung ermöglicht. Und je nach Körpertyp erscheint das optisch leicht anders.
Tatsache ist jedoch, dass viele Reiter gezwungen werden, eine idealisierte Haltung anzunehmen. Am häufigsten begegne ich den Phänomenen „langes Bein“, „Handhaltung“ und „Zehenspitze zum Pferd“.
Viele Reiter haben gelernt, dass sie ihre Hände eine Handbreit vor dem Sattel und eine Handbreit über dem Widerrist halten sollen. Das mag für manche optimal sein, aber nicht für kleine Reiter mit kurzen Oberarmen. Um ihre Hände vor dem Sattel zu halten, müssten sie ihre Ellbogen durchstrecken, was eine feine Zügelführung unmöglich macht.
Ebenso können Reiter mit rundlichen, kurzen Oberschenkeln, die vielleicht noch dazu auf einem breiten Pferd sitzen, ihre Füße niemals exakt parallel zum Pferd halten, ohne ihre Sprunggelenke zu verdrehen und so die Federung im Bein zu verlieren. Der Versuch, das lange Bein nachzuahmen, führt bei ihnen dazu, dass sie mit fast durchgestreckten Gelenken reiten und ein elastisches Mitschwingen mit dem Pferd nicht mehr möglich ist.
Eine Centered Riding Kollegin besuchte vor einigen Jahren im Rahmen einer Fortbildung eine private Vorführung der Spanischen Hofreitschule, bei der es auch Gelegenheit gab, Fragen zu stellen. Meine Kollegin wollte wissen, nach welchen Kriterien die Eleven ausgesucht werden. Es stellte sich heraus, dass es für Anwärter vorteilhaft war, einen im Vergleich zum Unterschenkel langen Oberschenkel zu haben. Es gibt beim Reiten also, so wie bei anderen Sportarten, Menschen, die auf Grund ihres Körperbaus leichter erfolgreich sein können. Gutes Reiten braucht aber viel mehr – Koordination, Körperwahrnehmung, Timing, ein Gefühl für‘s Pferd – und diese Qualitäten haben nichts mit Körperproportionen zu tun!
Doch zurück zum Körper. Es gibt nämlich auch Unterschiede in der Zusammensetzung unserer Muskeln und Faszien. Niemand würde erwarten, dass Usain Bolt einen Marathon gewinnt oder dass Mo Farah an einer 100m Staffel teilnimmt. Doch da ein Reiter nicht schnell laufen muss, ist dieses Beispiel nur bedingt hilfreich. Dafür muss ein Reiter aber ein gewisses Maß an Flexibilität und Stabilität mitbringen. Die meisten Menschen tendieren dazu, eine dieser Eigenschaften ausgeprägter zu besitzen. Das hat unter anderem mit der Beschaffenheit der Faszien zu tun. Es gibt Personen, die ohne zu trainieren fast einen Spagat machen können, aber bei jedem Schritt in einem unwegsamen Gelände überknöcheln. Auf dem Pferd können sie meist gut mitschwingen, aber da sie sehr beweglich sind, kann es passieren, dass sie das Gleichgewicht ihres Pferdes durch ihren unstabilen Oberkörper stören. Stabilere Typen haben wahrscheinlich ein gutes Gleichgewicht, finden es aber schwieriger, loszulassen und wirken häufig „steif“.
Immer wieder gibt es heftige Debatten darüber, welcher Ausgleichssport beziehungsweise welche Bewegung für Reiter am besten ist. Ich denke, zu diesen Diskussionen kommt es, weil jeder aus der Wahrnehmung seines eigenen Körpertyps heraus argumentiert. Es gibt ein Lager, das auf Pilates schwört, ein anderes liebt Yoga, ein drittes Lager isometrische Übungen, und ein weiteres wiederum Feldenkrais. Ich persönlich, als „fester“ Typ, finde Pilates eher kontraproduktiv, ich möchte lieber loslassen können, als mehr anspannen. Jemand, der hypermobil ist, mag aber Pilates hilfreich finden, um mehr Stabilität zu erlangen. Eine kleine Warnung möchte ich euch dazu aber trotzdem mitgeben: Nehmt die angespannten Bauchmuskeln bitte nicht mit in den Sattel. Sie blockieren eine freie Beckenbewegung. Feldenkrais war meine persönliche Offenbarung, denn ich halte gerne meine Anspannungen, vor allem Stress, im Körper fest. Ich habe noch keine Möglichkeit gefunden, diesen Prozess zu stoppen, aber mit Feldenkrais und durch die bewusste Verteilung einer Bewegung über möglichst viele Körperteile, kann ich etwas mehr Losgelassenheit erzielen.
Ein guter Trainer muss alle diese Aspekte erkennen und berücksichtigen, um ein individuelles Trainingsprogramm zu gestalten, denn nur ein funktioneller Sitz kann zu einer korrekten und verständlichen Hilfengebung führen. Und nur mit dieser kann man ein Pferd fair trainieren.