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Darf es eine Prise Achtsamkeit sein?

Achtsamkeit ist heutzutage in aller Munde. Vor zehn Jahren priesen wir alle Multi-Tasking, die Fähigkeit mehrere Sachen gleichzeitig zu erledigen. Gebracht hat es uns Stress, Depressionen und Burn-Out. Auch Pferde leiden emotional, mental und körperlich unter den Folgen von Hektik und Schnelllebigkeit. Als Gegenmittel wurde die Philosophie der Achtsamkeit populär, eine Denkweise, die von der buddhistischen Lehre abgeleitet ist. Achtsamkeit kann man beschreiben als eine Art Aufmerksamkeit, bei der man bewusst wahrnimmt, was gerade in diesem Moment ist, ohne dabei zu werten. Achtsamkeitsübungen (z.b. die bewusste Beobachtung von unseren Handlungen oder meditieren) werden eingesetzt bei verschiedenen Therapien. Pferde können diesbezüglich großartige Lehrer sein, weil sie bekanntlich im Hier und Jetzt leben. Das Ziel ist aber nicht nur mit uns selber achtsam umzugehen, sondern auch mit unseren Mitmenschen, oder in diesem Fall mit unseren Pferden.

 

Müssen wir jetzt unsere Ziele und Ambitionen fürs Reiten aufgeben und nur mehr auf der Wiese mit unseren Pferden gemeinsam OM singen ? So drastisch, finde ich, muss es nicht sein. Hiermit plädiere ich für eine Prise Achtsamkeit in unserem Pferde-Alltag – ein bisschen mehr Aufmerksamkeit für die Gefühle unserer tierischen Begleiter.

 

Wie bringe ich mehr Achtsamkeit in mein Leben mit Pferden. Hier ein paar praktische Beispiele. Oft kommt man gestresst von der Arbeit im Stall an, man hat nur wenig Zeit, bevor der ausgemachte Unterricht anfängt. Natürlich ist es günstig ein bisschen mehr Zeit einzuplanen oder weniger auf unsere „To do“ Liste zu schreiben, aber das Leben spielt nicht immer somit. Statt im Stall zu hetzen, die Schlammkruste abzukratzen, den Sattelschnell drüber zu werfen und das Pferd mit meiner Hektik voll anzustecken, könnte ich mir zwei Minuten nehmen um im Auto kurz innezuhalten, ein paar Mal tief durchzuatmen, um dann zugig aber ruhig die Vorbereitungen durchzuführen.

 

Achtsamkeit auszuüben heißt anhand von Körpersprache und Mimik meines Pferdes abzulesen, ob es den Zackenstriegel genießt oder eher erduldet und dann ihn gegebenenfalls ihn gegen eine weiche Gumminoppenhandschuhe auszutauschen.

 

Es ist achtsam meinem Pferd gegenüber, wenn ich das Gebiss im Winter vor dem Reiten wärme, oder wenn ich ein paar Runden Schritt führe, bevor ich Loch für Loch langsam nachgurte.

 

Wenn ich in der Halle Schritt warmreite, kann ich die Zeit nehmen meinen eigenen Körper zu beobachten, statt mit Reiterkollegen zu ratschen. Indem ich eine kleine Reise durch meinen Körper mache und merke, welche meine Gelenke frei sind und welche noch ein Tröpfchen Schmiere noch brauchen könnte, schule ich die Achtsamkeit mir selbst gegenüber. Jedes Mal, wenn ich aufsteige, fühle ich mich in mein Pferd hinein. Ich frage mich… – wie ist seine Atmung, sein Muskeltonus, seine Konzentration?

 

„Ohne zu werten“ finde ich einen ganz wesentlichen Aspekt der Achtsamkeit. Ein Beispiel. Mein Pferd wehrt sich gegen das Rückwärtsrichten heute, obwohl er das normalerweise gut beherrscht. Bewertend wäre zu sagen – er ist faul, unaufmerksam, dominant. Wenn ich nicht werte, öffne ich die Tür für das Warum. Warum kann er heute nicht rückwärts treten? Oft hilft mich jetzt das Beobachten des gesamten Umfeld. Ah – heute steht der Traktoranhänger in der Ecke hinter uns und mein Pferdfürchtet sich vor der flatternden Plane.

 

In der englischen Sprache wird die Achtsamkeit mit Mindfulness übersetzt – also mit vollen Geist. Ich finde dies etwas unvollständig. In meinen Augen übt man Achtsamkeit vor allem mit dem Herz aus.

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